Pressespiegel

Ein Glashaus, das seine Nachbarn stützt

In Reutlingen entsteht derzeit ein stadthistorisches Museum, das sich selbst ausstellen wird. Es zieht in zwei Fachwerkhäuser aus dem 14. Jahrhundert. Sie waren vom Abriss bedroht, doch nun realisieren wulf architekten gemeinsam mit str.ucture einen angrenzenden Holzneubau, der sie statisch stützt. Unser Autor hat die Baustelle besucht.

Schon vor der geplanten Eröffnung im November 2025 sorgt das Projekt für viel Aufmerksamkeit. Besucherinnen und Besucher konnten die Baustelle bereits am Tag der Städtebauförderung im Mai besichtigen, und auch beim Stampfen des Lehmbodens im historischen Keller half der Oberbürgermeister höchstpersönlich mit. Der Neubau entsteht direkt neben dem Heimatmuseum in der Oberamteistraße, an der Stelle des in den 1970er Jahren abgerissenen „Steinernen Hauses“. Seine Kubatur entspricht exakt dem verlorenen Bau und ermöglicht so erst die denkmalgerechte Sanierung der beiden verbliebenen Fachwerkhäuser aus dem 14. Jahrhundert.

Das Tragwerk des Neubaus besteht aus heimischem Holz und ist als moderner Fachwerkbau konzipiert. Es dient nicht nur als neue Ausstellungsfläche, sondern übernimmt auch die statische Sicherung der Altbauten. Eine Besonderheit ist die Fassade aus gläsernen Biberschwanzziegeln, die Dach und Außenwände wie Fischschuppen überzieht und das Gebäude leicht verschwommen erscheinen lässt. Der Zugang erfolgt ausschließlich über das Nachbargebäude, da die gläserne Hülle weder Fenster noch straßenseitige Türen besitzt.

Im Inneren ist der Bau bewusst unbeheizt und ohne klassische Wärmedämmung angelegt. Drei Zentimeter breite Fugen zwischen den Ziegeln sorgen für natürliche Belüftung und Rauchabzug. Der 20,5 Meter hohe, offene Innenraum wird durch das einfallende Tageslicht geprägt, das durch Dach und Wände dringt. Die Konstruktion zeigt präzise Zimmermannsarbeit, kombiniert mit modernster Planungs- und Fertigungstechnik, einschließlich parametrischer 3D-Modelle.

Mit der Fertigstellung des „Gläsernen Hauses“ erhält Reutlingen nicht nur ein neues Museum, sondern auch ein architektonisches Statement, das die Geschichte des Fachwerks mit zeitgenössischem Ingenieurwissen verbindet.

Von Christian Brensing | Erschienen am 13.08.2025 auf baunetz.de

Link zum Artikel