Pressespiegel

Doch ein Neubau?

By 16. Juli 2022Juli 25th, 2022No Comments

Der Ukrainekrieg kostet nicht nur viele Menschen täglich das Leben, er zerstört auch Projekte, die von Kiew einige Tausend Kilometer entfernt sind und auf den ersten Blick mit Wladimir Putins Imperialismus nichts zu tun haben. Ein Beispiel hierfür ist die Sanierung der Stuttgarter Staatsoper, des nach eigener Darstellung größten Dreispartenhauses der Welt. Seit 35 Jahren hat es an dem 1912 nach Plänen von Max Littmann gebauten Opernhaus keine grundlegenden Sanierungsarbeiten gegeben. Die Technik ist museumsreif, Brandschutz- und Arbeitschutzbedingungen können kaum noch eingehalten werden. Noch vor einem Jahr schien es, als ob es einen breiten politischen Konsens für die Sanierung geben könnte. Der Verwaltungsrat hatte im Herbst 2018 der Sanierung und Erweiterung des Hauses zugestimmt; der Stuttgarter Gemeinderat hatte dann im Juni 2021 einen Grundsatzbeschluss gefasst.

Die Kabinettsvorlage, mit der die Gründung einer Projektgesellschaft für die Sanierung beschlossen werden sollte, ist verschoben worden. Die CDU scheint plötzlich skeptisch. Die Grünen hatten der Vorlage schon zugestimmt, doch der CDU-Fraktionsvorsitzende Manuel Hagel möchte sie so nicht mittragen. Stattdessen werden Bedingungen gestellt, wie etwa, dass es erst nach der Durchführung eines Architektenwettbewerbs und einer aktualisierten Kostenschätzung eine grundsätzliche Entscheidung über das weitere Vorgehen geben solle. Grund dafür sind vor allem die stark gestiegenen Kostenschätzungen. 2019 wurden sie mit Puffer auf etwa eine Milliarde geschätzt, darin war der Bau der Interimsspielstätte noch nicht enthalten. Nun liegt die Inflationsrate bei sieben Prozent, die Baukosten steigen immer mehr, daher wird nun von 1,5 bis 2 Milliarden ausgegangen. Die Grünen halten dagegen, dass noch überhaupt keine realistischen Zahlen vorliegen, die zwei Milliarden seien aus der Luft gegriffen.

Dennoch ist es nicht leicht, in Krisenzeiten solche Investitionen zu rechtfertigen. Vor allem da sich nach Meinungsumfragen der Regionalzeitungen Bürgerinnen und Bürger in Krisenzeiten gerade Einsparungen bei Bauprojekten und im Kulturetat wünschen. Aktuell stehen im Landeshaushalt für 2023/24 125 Millionen Euro im Jahr für neue Investitionen. Sollte die Sanierung tatsächlich zwei Milliarden kosten, müssten Stadt und Land jeweils 10 Jahre lang 100 Millionen im Jahr für die Opernsanierung zahlen, viel Raum für andere Sanierungen bliebe nicht mehr. Sollte sich die CDU durchsetzen, würde in einem Architektenwettbewerb noch mal alles in Frage gestellt, Neubau oder Sanierung, auch verworfene Bauplätze kämen noch mal ins Spiel. Der Baubeginn der dringend nötigen Arbeiten würde sich noch einmal um etwa anderthalb Jahre verzögern.

Von Rüdiger Soldt | Erschienen in der FAZ am 16.07.2022