Pressespiegel

Hängende Schatzkammer

By 8. Oktober 2022Oktober 10th, 2022No Comments

Selbst an Türme haben sich die Architekten – mit dem Abstand von vier Jahren – wieder herangetraut. An einen zweiten Bibelturm dachte dabei allerdings niemand mehr. Schließlich hatten die Mainzer 2018 den Plänen für ein solch imposantes Gebilde in einem Bürgerentscheid eine Absage erteilt, noch bevor mit dem Bau begonnen werden konnte. Doch auch der aktuelle Vorschlag für einen Buchstabenturm, der das neue Herzstück des Gutenberg-Museums weithin sichtbar hätte zieren sollen, vermochte die Jury nicht zu überzeugen. So ist es am Ende nach zweitägigem Auswahlverfahren sowie zum Teil langen und kontroversen Diskussionen der als „Hängende Schatzkammer“ zu umschreibende Entwurf des Stuttgarter Büros h4a Gessert + Randecker Architekten GmbH gewesen, der alle Jurymitglieder zu überzeugen vermochte – und jetzt beste Chancen hat, tatsächlich realisiert zu werden.

Es geht dabei nicht nur um ein neues Museum, sondern um ein stimmiges Konzept für das gesamte Quartier am Liebfrauenplatz, das von vier dominanten Gebäuden bestimmt wird, die sich unähnlicher kaum sein könnten. So gibt es das Haus zum Römischen Kaiser, ein prachtvolles Renaissancegebäude, in dem bisher unter anderem die Museumsverwaltung und die Stadtschreiberwohnung untergebracht sind. Letztere könnte eventuell gemeinsam mit der Bibliothek ins benachbarte und erst vor kurzem von der Stadt erworbene Hotel Schwan umziehen. Im Römischen Kaiser soll stattdessen ein Café entstehen.

Vom Siegerentwurf zeigt sich Baudezernentin Marianne Grosse begeistert und betont, wie gut er zu Mainz passe. Der Realisierungswettbewerb war nichtoffen, es gab 133 Interessenten, 82 Bewerber überstanden die Vorauswahl. Aus diesen wurden per Los die 25 Büros ermittelt, die ihre Vorschläge einreichen durften. Alle eingereichten Entwürfe können noch bis 26. Oktober zu den üblichen Öffnungszeiten im Naturhistorischen Museum, begutachtet werden. Der Kostenrahmen lag bei etwa 70 Millionen Euro, wenn alles ideal läuft, soll Ende 2023 der Umzug an den Interimsstandort abgeschlossen sein, 2024 steht der Abriss des aktuellen Gebäudes auf dem Plan, 2025 soll der Neubau beginnen.

Der Siegerentwurf – Details können und sollen noch angepasst werden – setzt auf eine markante Dachfläche und ein transparentes Erdgeschoss. Dazwischen wird mit einer rötlich eingefärbten Betonfassade gearbeitet. Man will das zentral gelegene Haus zu einem „dritten Ort“ machen und so auch diejenigen anlocken, die eher zu Veranstaltungen ins Museum kommen. Für diese soll es in der obersten Etage einen besonderen Platz, eine Art Forum, geben soll.

Von Markus Schung | Erschienen am 08.10.2022 auf faz.net

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